Der Weg zu mehr Nachhaltigkeit in der Festivalorganisation und -ausstattung ist kein Sprint, eher ein Marathon. Und wie beim Sport sind auch hier die ersten Schritte entscheidend. Das Theatertreffen beschäftigt sich bereits seit Jahren mit ökologischer Nachhaltigkeit und stellt zur Festivalausgabe 2022 ein ausgewähltes Projekt vor: den CO2-Fußabdruck des Theatertreffens 2019.
2021 fragte sich das Team des Theatertreffens, welchen ökologischen Fußabdruck die Vorbereitung und Organisation des Festivals hat. Damit begab es sich auf einen komplexen Lernprozess der Datenerhebung und -auswertung, denn die CO2-Bilanzierung steckt im deutschen Kultursektor noch in den Anfängen. Die COVID-19-Pandemie führte dazu, dass 2020 und 2021 rein digitale Theatertreffen-Festivalausgaben entwickelt werden mussten. Ohne Publikum vor Ort und mit einer 10er Auswahl, die in vielen Fällen aus dem jeweils produzierenden Theater als Stream übertragen wurde, erschien eine Betrachtung der letzten beiden Jahre als wenig beispielhaft. Aus diesem Grund entschied sich das Theatertreffen-Team, zum Auftakt das Jahr 2019 in den Blick zu nehmen.
Ziel der Bilanzierung ist es, die Umweltauswirkungen der Festivalaktivitäten zu kennen, aber auch die eigenen ökologischen Bestrebungen messbar zu machen, um langfristig einen zukunftsfähigen Theater- und Festivalbetrieb zu ermöglichen.
„Nachhaltiges Theater bedeutet gleichzeitig auch zukunftsfähiges Theater. Die Sehnsucht nach einer schöneren und klimabewussteren Welt kann auf und hinter den Bühnen dieses Landes neu verhandelt werden. Dabei brauchen wir radikale Ehrlichkeit bei der Beschreibung der Situation. Und genug Mut und Fantasie, uns immer wieder die Möglichkeit einer besseren Zukunft für uns alle vorzustellen.“
Jacob Sylvester Bilabel, Leiter des Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit für Kultur und Medien
Der Ausgangspunkt
Seit der EMAS-Zertifizierung der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin GmbH im Jahr 2013 widmet sich das Theatertreffen-Team um Yvonne Büdenhölzer und Katharina Fritzsche der Frage, wie sich das Festival langfristig ökologisch nachhaltiger organisieren lässt. Seit mehreren Jahren gibt es überwiegend vegetarisches Catering, das Wasser kommt gefiltert in eigenen Glaswasserflaschen und Merchandise-Produkte werden in reduzierter Auflage aus nachhaltigen Quellen bezogen. Zudem entstand 2021 „Forum ökologische Nachhaltigkeit im Theater / Green Ambassadors“, das als Ort des Voneinander-und-miteinander-Lernens dient. Das Forum wurde initiiert von Jacob Sylvester Bilabel, Yvonne Büdenhölzer und Katharina Fritzsche.
Das Bedürfnis, für die Festivalaktivitäten einen CO2-Fußabdruck zu berechnen, folgt als nächster Schritt in der ökologischen Weiterentwicklung des Theatertreffens, an dem das Team seit knapp zwei Jahren intern arbeitet.
Der Weg zur Bilanz
Das Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit in Kultur und Medien schulte und führte die Mitarbeiter:innen des Theatertreffens nicht nur in die Welt der CO2-Bilanzierung ein, sondern stellte ihnen auch ihren CO2-Rechner zur Verfügung. Als Grundlage für die Berechnung wurde eine detaillierte Darstellung der Festivalstruktur und -prozesse mittels eines Mappings herangezogen.
Dadurch wurden die zahlreichen Teilbereiche des Theatertreffens definiert und deren Zusammenhänge grafisch veranschaulicht. In einem weiteren Schritt wurde der Ziel- und Untersuchungsrahmen für die Bilanz 2019 festgelegt. Im Anschluss folgte die Sammlung der Daten.
Die zeitaufwendige, aber wichtige Auseinandersetzung mit den eigenen Prozessen ermöglicht dem Theatertreffen zukünftig, CO2-Fußabdrücke mit hoher Aussagekraft zu berechnen.
Die Datengrundlage
Die Bilanz der Festivalausgabe 2019 setzt sich primär aus den Jury- und Gastspielreisen zusammen, ebenso wurden die einen geringeren Teil ausmachenden Dolmetscher:innen-Reisen berücksichtigt. Diese Bereiche wurden betrachtet, da sie unmittelbar mit der 10er Auswahl zusammenhängen, einem Programmsegment, das eine zentrale Rolle im Festivalgeschehen einnimmt und auch von der Öffentlichkeit intensiv wahrgenommen wird.
In die Berechnungen einbezogen wurde die Reisemobilität aller beteiligten Jurymitglieder, Gastspielteams und Dolmetscher:innen (inklusive innerstädtischer Fahrten) per PKW, Flugzeug, Bahn oder Bus sowie deren Übernachtungen in Berlin. Für die Juryreisen betrifft das die ganzjährigen Sichtungsreisen der sieben Juror:innen, die fünf Jurysitzungen in Berlin, die Pressekonferenzen und die Anwesenheit während des Festivals im Mai. Die Gastspielteams reisen für das Festival und zusätzlich für die technischen Vorbesichtigungen an. Außerdem werden die Bühnenbilder der eingeladenen Inszenierungen zum Festival nach Berlin transportiert. Dieser explizit die Gastspiele betreffende Fußabdruck wurde im Bereich „Frachttransport“ in der Bilanz gesondert ausgewiesen, während personenbezogene Daten den Bereichen „Personaltransport“ und „Unterkunft“ zugeordnet wurden. Die Dolmetscher:innen reisen nur zum Festival an.
Die Datenquellen
Die Datenerhebung für einen bereits vergangenen Zeitraum bringt viele Herausforderungen mit sich. Mithilfe der Reisekostenabrechnungen der Juror:innen und Dolmetscher:innen konnten die Reisen detailliert für diesen Teil des Fußabdrucks zurückverfolgt werden. Anders sah es bei den Reisen der Gastspielteams aus. In der Klimabilanzierung wurden nur Gastspiele erfasst, von denen die Reisekosten vom Theatertreffen übernommen wurden. Bei zwei Gastspielen handelte es sich um Berliner Produktionen, wodurch keine Reisekosten für das Theatertreffen anfielen. Bei zwei weiteren Gastspielen lagen keine vollständigen Daten vor, da die Reisekosten zum Teil von externen Theatern oder Stiftungen übernommen wurden. Für die verbleibenden Gastspiele sind die vollständigen Datensätze vorhanden. Dennoch lassen sich aus den erhobenen Daten bereits Ansätze und Möglichkeiten erkennen, mit denen die Umweltauswirkungen der Festivaltätigkeiten zukünftig weiter verbessert werden können.
Die Erkenntnisse
Der gesamte CO2-Fußabdruck der Festivalausgabe 2019 beträgt 117 Tonnen. Auf den Frachttransport entfallen bei insgesamt 11.418 gefahrenen Kilometern 23 Tonnen, auf den Personaltransport mit 463.886 zurückgelegten Kilometern (inkl. Flugstrecken) 64 Tonnen. Die insgesamt 1.444 Übernachtungen im Bereich Unterkunft ergaben einen CO2-Ausstoß von 30 Tonnen.
Da die Juryreisen mit einem Anteil von 47 Prozent an der Gesamtbilanz (56 Tonnen CO2) große Auswirkungen auf die Bilanz 2019 haben, wird nun insbesondere die Transportmittelwahl in den Blick genommen.
Die Juryreisen
Um die 10 bemerkenswerten Inszenierungen für das Theatertreffen 2019 zu ernennen, sichteten die sieben Juror:innen 418 Inszenierungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, wofür sie knapp unter 293.000 Kilometer zurücklegten. In 6 Prozent der Fälle wurde der PKW, in 39 Prozent das Flugzeug sowie in 55 Prozent die Bahn als Transportmittel gewählt, was zusammen 45 Tonnen CO2 verursachte. Die folgenden Diagramme zeigen, welche prozentualen Anteile die Juryreisen an der Gesamtstrecke pro gewähltem Transportmittel haben und wie viele Tonnen CO2-Ausstoß das ergibt.
Obwohl das Flugzeug im Vergleich zur Bahn deutlich weniger genutzt wurde, sind 76 Prozent (34 Tonnen) des CO2-Ausstoßes dem Fliegen zuzuschreiben, während die Bahnfahrten einen deutlich geringeren Anteil von 15 Prozent (7 Tonnen) ausmachen.
Die Erkenntnisse
Schon vor der Bilanzierung ging das Theatertreffen-Team davon aus, dass die Juryreisen die größten Emissionen verursachen und somit einen ersten effektiven Anknüpfungspunkt zur Verbesserung darstellen. Das Ergebnis bestätigte und bestärkte den Ansatz, das Reiseverhalten in Frage zu stellen und damit zukünftig noch konsequenter umzugehen. Ein Umdenken hat seit der letzten analogen Festivalausgabe 2019 bereits stattgefunden. Seit 2020 ist das Theatertreffen stetig bemüht, die Reisevorgaben zu reglementieren und anzupassen. Die COVID-19-Pandemie machte die digitale Sichtung von Inszenierungen neben der Sichtung vor Ort zu einer weiteren Möglichkeit, sorgsamer mit den persönlichen Ressourcen und den klimatischen Belangen umzugehen. Für die Festivalausgabe 2022 wurden die bereits seit 2020 strengen Reisevorgaben bestärkt, wodurch Flüge bestmöglich vermieden wurden.
Die digitale Sichtung von Inszenierungen gewann zwar an Relevanz, doch der Weg ins Digitale ist nicht die eine Lösung, denn die digitalen Emissionen von Streaming, Videokonferenzen etc. sind noch eine Dunkelziffer. Auch wurde durch die Pandemie deutlich, dass ein physisches Zusammenkommen nicht leicht ersetzt werden kann. Deswegen werden Reisen weiter fortbestehen. Wie gereist wird, ist dabei die ausschlaggebende Frage und hat einen enormen Einfluss auf den CO2-Fußabdruck des Festivals.
Ähnliches gilt für die Besucher:innen-Mobilität, sie wird in der Festivalausgabe 2022 mit dem Ticketkauf abgefragt und erfasst. Erstmals ist in jedem Theaterticket ein ÖPNV-Ticket inkludiert, das eine kostenfreie Anreise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln im Raum Berlin ermöglicht. Damit möchte das Theatertreffen für das Publikum einen Anreiz zu einem umweltfreundlichen und stressfreien Festivalbesuch schaffen.
„Ein zukunftsfähiges Theater ist ein Theater, in dem es selbstverständlich ist, dass ökologisch orientiertes Verhalten und nachhaltige Entscheidungen kein Verzicht, sondern Gewinn auf allen Ebenen bedeuten.“
Yvonne Büdenhölzer, Leiterin des Theatertreffens
Der Ausblick
Mit dieser ersten Klimabilanzierung der Festivalausgabe 2019 hat das Team des Theatertreffens einen komplexen Prozess begonnen, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Vor allem die Gastspielreisen, zusammen mit dem dadurch entstehenden Frachttransport, werden bei voller Datenerfassung in Zukunft einen großen Teil des gesamten Fußabdrucks des Festivals ausmachen. Durch die Zusammenarbeit mit den Institutionen und Ensembles der 10er Auswahl hofft das Theatertreffen, neben dem eigenen Lernprozess einen Motivationsschub für weitere Häuser und Institutionen zu erzeugen und die Suche nach einem ressourcenschonenderen Theater- und Festivalbetrieb vorantreiben.
Effektive Maßnahmen zur Reduzierung des eigenen Fußabdrucks lassen sich erst definieren, wenn ein datenbasiertes Bild über die eigenen Emissionsquellen vorliegt. Eine vollständige Datenerfassung, zusammen mit den Emissionen aus anderen Festivalbereichen sowie den Streamingaktivitäten aus 2020, 2021 und darüber hinaus, setzt sich das Theatertreffen als nächstes Ziel.
Team
Datenerhebung: Susanne Albrecht (Administration und Controlling), Lina Erlenmaier (Assistentin Organisation), Katharina Fritzsche (Organisationsleiterin) sowie Laura Hänel (Assistentin Administration) und Marie Speckmann (Studentische Mitarbeiterin).
Text: Diana Palm (Teil des Teams der Berliner Festspiele, Kulturmanagerin, Autorin, seit 2021 Transformationsmanagerin für Nachhaltige Kultur und Betreiberin des Blog eARTh – How arts & culture work for our planet)
(Dieser Text und Bilder wurden im Original von dieser Website genommen: https://www.berlinerfestspiele.de/de/theatertreffen/digital-guide/2022/nachhaltigkeit.html)